beziehungsweise 6/2025–Artikel 2
Unsichtbare Armut von Frauen in Haushaltsgemeinschaften
Caritas-Studie zu unterschätzten Risiken und Ursachen
Von Tamara Majnek
Armutsgefährdung wird in Österreich traditionell über das Nettohaushaltseinkommen gemessen – unter der Annahme, dass Ressourcen innerhalb eines Haushalts gerecht verteilt sind. Diese Berechnung verschleiert jedoch die Realität vieler Frauen und unterschätzt ihr Armutsrisiko erheblich. Die Caritas-Studie "Versteckte Armut? – Das Armutsrisiko von nicht-alleinlebenden Frauen in Österreich" von Katrin Gasior (SASPRI) (2025) betrachtet individuelle Einkommen in Mehrpersonenhaushalten und nimmt so blinde Flecken der Armutsmessung unter die Lupe. Mithilfe des Mikrosimulationsmodells EUROMOD wird das individuelle Armutsrisiko berechnet, Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre betrachtet und die Rolle von Sozial- und Steuerleistungen beleuchtet.
Abb. 1: Individuelles Armutsrisiko nicht-alleinlebender Männer und Frauen in Österreich.
Quelle: Eigene Darstellung (Caritas Österreich) basierend auf Gasior 2025.
Die Ergebnisse dieser Studie offenbaren ein Bild struktureller Ungleichheit und ökonomischer Benachteiligung, das statistisch oft unsichtbar, gesellschaftlich aber allgegenwärtig ist: Jede dritte nicht-alleinlebende Frau in Österreich ist ohne das Einkommen anderer im Haushalt armutsgefährdet; ein Risiko, das sich in Krisen, bei Trennungen oder bei Krankheit in greifbare Not verwandelt. Hinter den Zahlen verbergen sich reale Konsequenzen: niedrigere Einkommen, eingeschränkte Wirksamkeit von Sozialleistungen und eine höhere Abhängigkeit von Partner:innen oder Dritten. Für die Caritas, die jährlich über 150.000 Frauen berät, ist das spürbare Wirklichkeit.
Die Studie legt unterschätzte Risiken offen und zeigt neuerlich, dass Frauenarmut vor allem ein systemisches Problem ist. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, politische Maßnahmen mit Blick auf ihre geschlechtsspezifische Verteilungswirkung zu gestalten, um Chancengerechtigkeit nachhaltig zu sichern.
Vom Haushalt zur individuellen Ökonomie
Während das allgemeine, auf dem Haushaltseinkommen basierende, Armutsrisiko von Frauen und Männern in Haushaltsgemeinschaften in Österreich statistisch nahe beieinander liegt (10 Prozent und 11 Prozent), beträgt das individuelle Armutsrisiko nicht-alleinlebender Frauen in Haushaltsgemeinschaften 32 Prozent. Bei Männern bleibt es hingegen ungeachtet der Betrachtungsweise bei 11 Prozent; ihr Armutsrisiko hängt also nicht vom Einkommen anderer ab.
Die finanzielle Abhängigkeit von Frauen, die durch das Fehlen eines ausreichenden eigenen Einkommens entsteht, schlägt sich nicht nur in ökonomischer Unsicherheit nieder, sondern auch in realen Machtasymmetrien innerhalb von Partnerschaften. Sie erschwert es Frauen, sich aus ungleichen oder gar gewaltvollen Beziehungen zu lösen. Viele betroffene Frauen suchen in solchen Situationen Unterstützung bei Einrichtungen wie Mutter-Kind-Häusern oder Sozialberatungsstellen der Caritas.
Auch in gesamtgesellschaftlichen Krisen zeigt sich die besondere Vulnerabilität von Frauen, wie eine Sonderauswertung der Statistik Austria im Auftrag der Caritas Österreich (2024) belegt: Von Corona-Pandemie bis Rekordinflation – in Krisenzeiten zeigen sich in weiblichen Haushaltskonstellationen stärkere Belastungen, die auch länger andauern. Besonders betroffen sind hier Alleinerzieherinnen.
Die strukturellen Benachteiligungen spiegeln sich im Alltag der Caritas wider: Frauen wenden sich häufiger an die Sozialberatungsstellen und alleinerziehende Frauen machen sogar 16 Prozent der Klient:innen der Sozialberatungsstellen aus. Der Anteil ist damit mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (ÖIF/Caritas 2025). Frauen, insbesondere Mütter, sind in Krisen und Belastungssituationen somit besonders auf soziale Unterstützung angewiesen.
Familiengründung als Wendepunkt ökonomischer Ungleichheit
Die Familiengründung markiert einen zentralen Wendepunkt in der ökonomischen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Die Caritas Studie von Katrin Gasior (2025) bestätigt, was auch internationale Forschung zeigt: Mit der Geburt des ersten Kindes steigt das individuelle Armutsrisiko von Frauen deutlich – und mit jedem weiteren Kind weiter. Bei Männern sinkt es hingegen tendenziell. In Haushalten mit einem Kind beträgt das Armutsrisiko von Frauen 30 Prozent, bei Männern 14 Prozent. In Familien mit drei oder mehr Kindern liegt das Risiko für Frauen bei 65 Prozent – mehr als das Fünffache des männlichen Werts von 12 Prozent.
Abb. 2: Individuelle Armutsrisiken nicht-alleinlebender Männer und Frauen in Österreich nach Anzahl der Kinder im Haushalt.
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Gasior 2025.
Unbezahlte Sorgearbeit als struktureller Motor
Die ungleiche Verteilung unbezahlter Sorgearbeit ist zentral für die ökonomischen Benachteiligung von Frauen. Die Familiengründung markiert dabei einen entscheidenden Wendepunkt, doch auch über alle weiteren Lebensphasen hinweg – etwa bei der Pflege Angehöriger – tragen Frauen den Hauptteil der Care-Arbeit. Dieses Zusammenspiel gesellschaftlicher Erwartungen und struktureller Rahmenbedingungen führt dazu, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten oder Erwerbsunterbrechungen in Kauf nehmen – mit dauerhaft negativen Folgen für ihr Einkommen und ihre finanzielle Unabhängigkeit. Hier bestätigt die Studie: Armut ist weiblich, weil unbezahlte Arbeit weiblich ist.
Über die Hälfte der nicht-alleinlebenden Frauen arbeitet in Teilzeit, bei Männern sind es nur sieben Prozent. Besonders riskant ist marginale Teilzeit (unter 20 Stunden pro Woche) mit einem Armutsrisiko von 64 Prozent. In substanzieller Teilzeit (20 bis 34 Stunden pro Woche) liegt das Risiko noch bei 23 Prozent. Erst ab 35 Stunden pro Woche sinkt es auf rund neun Prozent.
Gleiche Arbeitszeiten verringern die Schieflage deutlich: Wenn Frauen und Männer ähnlich viele Stunden arbeiten (20 bis 34 Stunden pro Woche), beträgt das Armutsrisiko für Frauen 23 Prozent gegenüber 19 Prozent für Männer. Dies verdeutlicht, dass eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeitszeit ein effektiver Hebel zur Reduktion geschlechtsspezifischer Armutsrisiken ist.
Schieflagen im Sozial- und Steuersystem
Eine Analyse der letzten Dekade (2014–2024) zeigt nur einen geringen Rückgang des individuellen Armutsrisikos nicht-alleinlebender Frauen um vier Prozentpunkte. Diese Entwicklung ist nicht auf gezielte Sozial- oder Steuerreformen zurückzuführen, sondern auf langfristige Arbeitsmarkteffekte: Frauen sind heute besser ausgebildet und häufiger erwerbstätig, wodurch sich das Risiko vor allem im Pensionsalter verringert.
Auch der Sozialstaat wirkt nicht für alle gleichermaßen. Da viele Leistungen an Erwerbsarbeit gekoppelt sind, werden die strukturellen Ungleichheiten in der Verteilung von Care- und Erwerbsarbeit fortgeschrieben. Das wirkt sich unter anderem in niedrigeren Arbeitslosengeld- und Pensionsleistungen für Frauen aus. Einzig Familienleistungen entlasten Frauen stärker. Die Familienbeihilfe senkt ihr Armutsrisiko um rund 15 Prozent. Die Studie belegt auch: Steuer und Sozialversicherungsbeiträge belasten Frauen in Teilzeitarbeit besonders stark und erhöhen ihr Armutsrisiko um 5 Prozent.
Chancengerechtigkeit und finanzielle Absicherung
Care-Arbeit bildet das Fundament dafür, dass unser gesellschaftliches und wirtschaftliches System funktioniert. Dennoch wird sie nach wie vor ungleich verteilt, unzureichend anerkannt und meist schlecht entlohnt – eine strukturelle Schieflage, die entscheidend zum deutlich höheren Armutsrisiko von Frauen beiträgt.
In Zeiten wachsender Sparzwänge ist es besonders wichtig, politische Maßnahmen auch geschlechtsspezifisch zu prüfen. Langfristige Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern lässt sich nur erreichen, wenn Care-Arbeit fair verteilt und angemessen bewertet wird. Dazu zählen Reformen bei Karenzregelungen und Kinderbetreuungsgeld, flexible Arbeitszeitmodelle, flächendeckende, qualitätsvolle und fair bezahlte Care-Angebote sowie die faire Anrechnung von Sorgezeiten in der Pension. Kurzfristig bedarf es auch gezielter Maßnahmen, die Frauen in Not sofort absichern: armutsfeste Sozialhilfe, Unterhaltsgarantien und Mindestpensionen, die ein Leben in Würde ermöglichen.
Sorgearbeit ist kein Störfaktor im Erwerbsleben, sondern wertvolle, sinnstiftende, systemrelevante Arbeit, die die Basis für das Gelingen unseres Zusammenlebens ist und unsere Gesellschaft trägt. Sie betrifft uns alle – ob wir sie leisten oder in Anspruch nehmen – und muss gesellschaftlich wie ökonomisch angemessen betrachtet und gewürdigt werden.
Literatur
Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF) im Auftrag der Caritas Österreich (2025): Caritas Sozialberatungsstatistik 2024.
Statistik Austria im Auftrag der Caritas Österreich (2024): Sonderauswertung "Krisenfolgen und die soziale Lage von Frauen".
Katrin Gasior (SASPRI) im Auftrag der Caritas Österreich (2025): Versteckte Armut? - Das Armutsrisiko von nicht-alleinlebenden Frauen in Österreich.
Die Studien und weitere Informationen stehen unter www.caritas.at/armut-fakten zur Verfügung.
Autorin
Tamara Majnek, MA, ist Leiterin der Fachstelle Armut bei der Caritas Österreich.


