beziehungsweise 6/2025Artikel 3

Wie wirken globale Krisen auf Lebensstandard und Kinderwunsch?

Eine Untersuchung anhand des Sondermoduls des österreichischen GGP

Von Norbert Neuwirth  

Substanzielle Rückgänge der Fertilität sind in sämtlichen Ländern des OECD-Raums feststellbar. Diese Entwicklung ist seit vielen Jahren beobachtbar, die rezenten Rückgänge erreichen nun aber Werte, die zuvor unwahrscheinlich schienen. Die unvorhergesehenen Krisen zu Beginn dieses Jahrzehnts und die daraus entstandenen Entwicklungen sind in den meisten Ländern nicht ursächlich für den Rückgang der Fertilität verantwortlich, es kann aber davon ausgegangen werden, dass sie einen Akzeleratoreffekt auslösten: Der Fertilitätsrückgang dürfte sich in so gut wie allen OECD-Ländern beschleunigt und verstärkt haben.

Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen auf individuelle Entscheidungen rückführbar 
Diesen auf Makroebene demografisch feststellbaren Fertilitätsrückgang gilt es letztlich auf Individualebene aufzuschlüsseln, in jeweils hinreichender Stichprobe in den betreffenden Ländern empirisch zu erfassen und näher zu analysieren. Die empirisch fassbaren Komponenten der Fertilität sind der persönliche Kinderwunsch, die Realisierungserwartung der Befragten sowie das geplante bzw. verschobene Timing der intendierten Geburten. All diese Größen werden im internationalen Generations and Gender Programme (GGP) systematisch erfasst. 

Der Kinderwunsch, dessen Realisierungserwartung sowie das Timing der Geburten waren immer schon von zahlreichen Faktoren abhängig. Nun stellt sich aber die zusätzliche Frage, inwiefern bei Personengruppen mit krisenbedingt erwarteter Reduktion des Lebensstandards der Kinderwunsch sowie das erwartete Timing der nächst anstehenden Geburt beeinflusst wird.

Um dieser Frage gezielt nachgehen zu können, wurde im österreichischen GGP (kurz: GGP.at) ein zusätzliches Sondermodul abgefragt, bei dem erfasst werden konnte, wie sehr die Befragten von den rezenten überregionalen Krisen (Covid-Pandemie, Inflation, Krieg) betroffen waren und inwieweit die daraus veränderte individuelle Situation erwartungsgemäß auch eine Änderung in den Komponenten der künftigen Fertilität der Befragten verursachen wird. Bei der Erhebung des GGP.at (Oktober 2022 – März 2023) war erkennbar, dass die Bevölkerung eher pessimistisch hinsichtlich der weiteren Entwicklung ihres Lebensstandards eingestellt war: Über 40 % der Eltern und 37 % der Kinderlosen vertraten pessimistische Erwartungen. Sie gingen davon aus, dass sich ihr Lebensstandard reduzieren wird. Worin zeichnen sich die Personen, die negative Zukunftsaussichten hinsichtlich der Entwicklung ihres persönlichen Lebensstandards haben, besonders aus? Diese Frage wurde anhand eines dafür geeigneten generalisierten Regressionsverfahrens näher behandelt.

Annahmegemäß ist eine altersgeleitete signifikante Zunahme der pessimistischen Zukunftserwartungen zu verzeichnen: Junge erwarten sich grundsätzlich eine Verbesserung ihres derzeitigen Lebensstandards, Ältere wähnen sich hingegen bereits am Plafond ihrer Möglichkeiten angekommen. So ist es nur halb so wahrscheinlich, dass Personen der Altersklassen 18–24 eine Verschlechterung ihres Lebensstandards befürchten, als Personen der Altersklasse 50–59. Ebenfalls noch nicht weiter verwunderlich scheint es, dass höher Gebildete geringere Befürchtungen hinsichtlich der Reduktion ihres Lebensstandards aufweisen.

Je geringer der Lebensstandard heute, desto pessimistischer die Zukunftsaussichten 
Höchst signifikant und gleichzeitig fast alarmierend erscheinen hingegen die erwartete Entwicklung des Lebensstandards anhand der Frage, wieweit sich die Befragten ihre Lebenshaltungskosten zum Befragungszeitpunkt leisten konnten. Hier zeigt sich, dass Personen, die jetzt schon schlecht mit ihrem Einkommen auskommen, zum doppelten Ausmaß befürchten, dass sich ihre Situation noch weiter verschlechtert. Umgekehrt gehen Personen, die bereits jetzt gut mit ihrer Einkommenssituation auskommen, weit eher davon aus, dass ihr Lebensstandard in Hinkunft zumindest konstant bleibt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet gehen die Befragten also von einer zunehmenden Spreizung im Lebensstandard aus. Auch Personen, die Vereinbarungskonflikte zwischen Erwerb, Familie und Haushalt erleben, erwarten signifikant öfter eine Verschlechterung ihres Lebensstandards.

Die Krisenerfahrungen prägen die Zukunftsaussichten 
Die individuell recht unterschiedlich erfahrenen Preissteigerungen lassen den Pessimismus, den bisherigen Lebensstandard nicht halten zu können, ebenfalls deutlich und signifikant steigen. Die erfahrenen Belastungen der Covid-Pandemie verursachen v. a. bei den Männern eine zusätzliche Steigerung des Pessimismus. Anders erscheinen die Belastungen durch den Ukraine-Krieg: Hier dürfte die wohl vor allem emotionale Betroffenheit bei Frauen weit tiefgreifenderen Einfluss auf die Zukunftserwartungen haben als bei Männern. Insgesamt ist klar ersichtlich, dass eine hohe Betroffenheit durch die rezenten Krisen die Erwartungen zum künftigen Lebensstandard deutlich senkt (Abbildung).

Darstellung der im Text beschriebenen Daten

Abbildung: Erwartete Änderung des eigenen Lebensstandards nach Belastung durch Krisen

Quelle: GGP.at 2022/23; eigene Berechnung ÖIF; n = 5.734 / 5.763 / 5.625

Dämpfender Effekt auf den Kinderwunsch
Eben diese unterschiedlichen, teils krisenbedingten Einflüsse auf die Zukunftserwartungen beeinflussen naheliegenderweise auch die weiteren Zukunftsplanungen, nicht zuletzt die angestrebte Kinderzahl und den geplanten Zeitpunkt der jeweiligen Geburt. Personen, die davon ausgehen, dass ihr Lebensstandard binnen der nächsten drei Jahre fallen wird, weisen eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit aus, dass sie die Anzahl der noch gewünschten Kinder reduzieren. Bei Frauen ist dieser Effekt deutlicher ausgeprägter als bei Männern. Bestehende Vereinbarkeitskonflikte verschärfen diesen Effekt, insbesonders bei Männern. Die erfassten Krisen (Covid, Inflation, Krieg) senken bereits den erwarteten künftigen Lebensstandard, wirken aber auch direkt kinderwunschdämpfend – vor allem aufseiten der Männer. Bei Frauen wirken die erfassten Krisen stärker indirekt über den erwarteten künftigen Lebensstandard. Insgesamt ist der kriseninduziert kinderwunschdämpfende Effekt bei Frauen stärker ausgeprägt. 

Der verbleibende Kinderwunsch wird oft weiter aufgeschoben
Naheliegenderweise schieben Personen über 35 Jahren ihren Kinderwunsch seltener auf als jüngere. Es ist auch nur etwa halb so wahrscheinlich, dass Personen dieser Altersgruppe den Kinderwunsch reduzieren. 

Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die kriseninduzierte Reduktion des Kinderwunsches stärker bei Frauen auftritt. Weibliche Befragte zeigen eine signifikant höhere Neigung zur Reduktion ihres Kinderwunschs. Gleichzeitig ist beobachtbar, dass Männer aufgrund der Krisenerfahrungen eher planen, die Realisierung der gewünschten Geburten zu verschieben.

Krisenbedingte Reduktionen im Kinderwunsch bzw. der Verschiebung des avisierten Geburtszeitpunkts scheinen über alle Bildungsschichten ähnlich verteilt zu sein. Höher gebildete Frauen scheinen ihren Kinderwunsch eher zu reduzieren, verschieben aber die gewünschten Kinder offenbar etwas seltener.

Betrachtet man den Migrationshintergrund, so wird ersichtlich, dass lediglich Männer aus ost- und mitteleuropäischen EU-Ländern signifikant öfter ihren – durchschnittlich höheren – Kinderwunsch im Zuge der Krisen reduziert haben. Ähnlich sieht es bei den krisenbedingten Verschiebungen von Geburten aus: Es ist erkennbar, dass Männer und Frauen aus Ost- und Mitteleuropa sowie von außerhalb der EU deutlich häufiger aufschieben, als es die anderen ethnischen Gruppen schon tun.

Wenn bereits Kinder vorhanden sind, so scheint es, dass der noch verbleibende Kinderwunsch eher beibehalten wird. Es sind eher die Kinderlosen sowie Personen mit einem Kind, die den (zusätzlichen) Kinderwunsch revidieren. Natürlich muss einschränkend bemerkt werden, dass nur wenige Eltern mit zwei oder mehr Kindern noch einen zusätzlichen Kinderwunsch haben. Wenn dieser jedoch besteht, dürfte er deutlich stabiler sein als der von Kinderlosen oder Personen mit nur einem Kind. Auch bestätigt sich erneut und wohl verstärkt, dass Kinderlose ihre gewünschte Erstgeburt viel eher aufschieben als Personen, die bereits zumindest ein Kind haben. Insbesondere Mütter dürften darauf bedacht sein, den Altersabstand zwischen den schon existierenden und den zusätzlich gewünschten Kindern nicht allzu groß werden zu lassen.

Der derzeitige materielle Status zeigt höchst signifikant, dass Männer wie Frauen mit schlechter materieller Ausstattung gut doppelt so häufig krisenbedingt auf das zuvor gewünschte Kind verzichten als Personen in durchschnittlich materiellem Status. Gut Verdienende und Wohlhabende verzichteten deutlich seltener auf zuvor gewünschte Kinder. Noch eindeutiger verhält es sich mit dem kriseninduzierten Aufschieben der nach wie vor gewünschten Geburten. Besonders bei Frauen ist eine starke Wohlstandsabhängigkeit der krisenbedingten Revision des Kinderwunsches sowie des Aufschiebens der Geburten ablesbar.

Über alle Befragten gerechnet lässt sich erkennen, dass die Befürchtung eines fallenden Lebensstandards die statistische Chance, dass der bestehende Kinderwunsch revidiert bzw. reduziert wird, beinahe verdoppelt. Dieses Ergebnis ist bei Frauen wie bei Männern höchst signifikant abgesichert. Der verbleibende Kinderwunsch erfährt bei befürchtetem Rückgang des Lebensstandards auch eine erkennbare Verschiebung nach hinten.

Insgesamt lässt sich sagen, dass eine befürchtete Verschlechterung des individuellen Lebensstandards den stärksten Reduktions- wie Verzögerungsgrund des Kinderwunsches darstellt. 


Literatur

Neuwirth, Norbert; Dörfler-Bolt, Sonja; Kaindl, Markus (2025): Folgen globaler Krisen für Familien. Auswirkungen globaler Krisen auf die erwartete Entwicklung des Lebensstandards und auf den Kinderwunsch. Österreichisches Institut für Familienforschung. Wien (ÖIF Working paper, 106). DOI 10.25365/phaidra.714   

Autor

Mag. Norbert Neuwirth ist Ökonom und Senior Researcher am Österreichischen Institut für Familienforschung an der Universität Wien. 

Kontakt

norbert.neuwirth@oif.ac.at